Barbara Gauger
Barbara Gauger

Irrungen und Wirrungen in Rübezahls Reich

 Erste Abtheilung

 

Es war gewaltig. Und ganz erhebend... etwas Außergewöhnliches .... Ein Atelierbesuch bei einem der Matadore der dekorativen Kunst,  Bei Fritz Erler, ganz persönlich. Eingebrockt hatte mir das Ganze der Rudolf Wilke. "Ach Harry, nimm doch die Gelegenheit wahr zu einem Besuche beim Erler, verdanken wir ihm doch unsere verdrüschte Röggelsche, auf denen wir kleinen Kunstgeister uns die Zähne in Demut zerknirschen - von einem mittleren Auftrag für die "Jugend" lässt sichs schon mal ein Stücke herunterbeissen".

 

Mein Tantchen Humpelrock applaudierte ob der Aussicht eines solchen Kunstausfluges in höchster Tonlage: "Mein Gott, Hermann, wo du doch so so in Kuren machst, also Wiesbaden, das müsstest Du kennenlerne. Unsere Höchstheit persönlich  schwärmt ja vom Kurhause... und der Muschelsaal - janz fein sage ich Dir, janz fein. Na unn der Lesesaal -  Du hast et doch so mitte Bücher - de  Fresken von Salzmann und vom Fritz Erler - ein wahrer Kaiserkünstler, Hermann, ein äschter Kaiserkünstler... Unn janz modern, Du  kennst Dich doch aus mit de neue Kunstrichtunge, Junge . Unn der Joehte, der hats auch schon jesagt, wat sage ich, der Joethe, schon de alte Römer wußten um die Heilkraft der wärmischen Quellen, oder wie die inne Fachsprach so heiße. Wo de doch so schwach auf de Brust bist, mein Juengelche.Sorje machst de mir, wirklische Sorje. "

Ein Widerspruch war nicht möglich, Nicht für den treuen Freund eines geistvollen Zeichners. Und schon gar nicht für den gut erzogenen Lieblingsneffen der vermögenden Tante.

Eine Postkarte solle ich schreiben, oder besser noch einen Brief. Mit Autogrammkarte. Vom Künstler, mit Empfehlungen an Fräulein Hanna Humpelrock in Mettmann.

 

Ich muss es zugeben: An die Bilder kann ich mich mitnichten erinnern, An den Künstler noch weniger. meine bekannten und gepflegten neurasthenischen Affektionen disturbierten jedes Wahrnehmungsvermögen. Fast jedes. Zwei Skizzen entstanden vor meinem inneren Auge, eine vom ehrwürdigen Gerhart Hauptmann mit Goethescher Haarpracht und entrückt gereiftem Denkerblick und ein etwas weicher gehaltenes Blatt, ein Seitenblick auf den Kopf seines Bruders mit Bart und nicht wirklich kleiner Nase, gekonnt in weiße Höhung gebettet. 

 


Ein guter Mensch bemühte sich voll der Anteilnahme: "Sie kennen Schreiberhau,? Ja, ja, die Bahnfahrt, der Aufstieg, die gute Naturluft, die Macht des Isergebirges ... nicht umsonst war es höchst diffizil, die Strecke für den Passagierverkehr herzurichten. Aber jetzt winkt doch die würzige Bergesluft. Gehts?"

Isergebirge, Schreiberhau, Gebirgsluft, wo befand ich mich?... Wohin um Gottes Willen, war ich geraten? "

"Nun, Sie scheinen nicht so recht glücklich, bei der Aussicht, die Weiten von Rübezahls sagenhaftem Reich zu ermessen?" .Rübezahls Reich ... die Bergschmiede, ja, die Bergschmiede, Fritz Erler, die Kulissen. In meinem Kopfe begann es zu hämmern,.....und zu dämmern ..... -  der Besuch in der Künstlerwerkstatt, das Bühnenarrangement für die Aufführung der Bergschmiede? " Wer hatte dies Stück noch erdacht? Herbert?, Nein, der hatte doch den "Natürlichen Vater" in Berlin zur Aufführung gebracht...mein Gott, nichts fiel mir wirklich ein, "Der natürliche Vater", so stammelte ich also vor mich hin" . Oh, "Der natürliche Vater, der natürliche Vater.." Der gute Mann, Herr Guthmann, wie er sich vorstellte, "Johannes Guthmann", so nickte er "so ist mein Name, ein Freund und Förderer der Künste, so zumindest sehe ich mich, Nun, als Gönner auch des Theaters, so denke ich an den 'Natürlichen Vater' von Herbert Eulenberg... ansonsten kämen wir ja in den Bereich höchst delikater Unterstellungen," Er nickte voller Güte.  "Das ist doch nicht möglich, Sie kennen das Stück von Eulenberg, hier, im Riesengebirge?" Das war ja allerhand. "Nun, also zunächst einmal bin ich ja stolzer Gutsbesitzer in Neu-Cladow ... und außerdem: der Zarle hat es doch in Berlin gesehen, also der Carl Hauptmann " , so erinnerte der Herr Guthmann. Da hatte ich es. Das wars. Carl Hauptmann, der Fritz Erler hatte mir doch noch im Atelier eine nicht abgefahrene Bahnfahrkarte in die Hand gedrückt, für die neue Strecke Hirschberg-Grünthal. 'Junger Freund, jetzt hören Sie doch auf zu husten und kommen mal wieder zu sich. Hier ist noch eine Reise nach Schreiberhau offen, Wär schade, wenn sie verfälllt.Und die Zackenbahn, ein technisches Meisterstück. Müssen sie mal fahren. Ihrer Lunge wirds nicht schaden und der Hauptmann Carl freut sich immer über Besuch.... '.

 

 Doch wer hatte mich hierherverfrachtet? Es war nicht zu klären. Also wandte ich mich an den guten Herrn Guthmann: "Wenn Sie also den Carl Hauptmann kennen, so kennen Sie sicher auch den Weg in sein hiesiges Heim?" "Ach", beruhigte er mich", das können Sie nicht verfehlen, da entlang, und dann, dann dort herum,,, und schon sind sie da....Wir sehen uns."  Er entschwand. 

Ich entschwand auch, auf Bergeshöhn und in tannenbewaldeten Tälern der übermächtigen Mutter Natur. 

 

Zweite Abtheilung

 

... Der andre Hauptmann, der eigentümliche Hauptmann, der "Bruder"... ..na, so ist es doch häufig, auch bei den Manns, der eine, Thomas der effektvoll analysierende, schreibmächtige, gewitzte, das Publikum bestrickende, der sprachgewandte, der, der um die Wirkung weiß... und der nachdenkliche, der ruhigere, der in den feinsten Empfindungen der Seele beheimatete, der Heinrich, der Schöpfer Yollas als Die Göttinnen.., der Bruder, der innerlichere, der Meister der vergleichsweise kleineren Auflagen. ... ?

Was für ein Unsinn, ermahnte ich mich in Gedanken, derweil ich den Weg einfach nicht finden wollte. Auf der andren Seite - die rechte Seite bezüglich eines zielführenden Weges erreichte ich im Moment ohnehin nicht - läßt sich nicht auch in dem abgedroschensten literarbewegten Phrasengespinst doch das ein oder andre Fädchen einer inneren Wahrheit verfolgen? War der Schicksalsgang einer Mathilde  mitsamt der ihr innewohnenden Sehnsucht und Reinlichkeit nicht doch anderer Art, als das Fatum, das dem Bahnwärter Thiel  dräute? Unglückliche, den Fesseln und Verstrickungen innerer Nöte ausgesetzte, das waren sie beide, wenig mächtig ihr eignes Ergehen zu gestalten, aber diese trotz allem so ruhig erzählte Beständigkeit in der Schilderung des Weges einer Mathilde.... eine Lektüre, die nachdenklich stimmte, sehr nachdenklich.  Kein Buch für einfache Gemüter, die die Lektüre fremder Fährnisse unbedingt darum bevorzugen, um theatralisch hervorgebrachte Katastrophen auf dem heimischen Kanapée mit angemessenem Schauder zu konsumieren. Ein Schicksalsroman für Menschen, die in heimeliger Geborgenheit anteilsvoll und mit der gewissen Überheblichkeit, die dem Bürgerlichen zu eigen sein, kann sich dem Los anderer Sphären des gesellschaftlichen Lebens aus gemessener Distanz nähern? ... "Man muß sie doch auch verstehen, diese Leute?",  "Hach, wie gut hammers doch, Elfriede?". oder "Wirklich Martha, man müßt da scho was tun, nein, die arme Mädche aber auch, et is schon a Jammer...", das wären die entsprechenden sorgenvollen Begleitmaximen. Beherztere stifteten für den städtischen Wohlfahrtsverein oder das "Mariannenhaus" Nein, es war wahrhaftig nicht immer leicht, sich  über die literarischen Produktionen eines Carl Hauptmann ein angemessenes Urteil zu bilden.  

 

Ismael Friedmann, der Unglückliche, und auch der dunkle, geheimnisvolle Schatten auf der Seele dieses Klugen, der sich zu übereilter Regung im eigentlich richtigen Momente beim eigentlich richtigen weiblichen Gegenüber hinreißen ließ, und so sich selbst opferte, ohne es zu wissen: ... zur Lösung des ehelichen Ungleichgewichtes der Eltern? Die Ahnung des Unheils, angedeutet in Bildern, vielleicht der östlich-europäischen Sagenwelt entnommen, das einsame Gurren der Wildtaube, unfähig ihr eigen Nest zu bauen, die weiße Lilie, Symbol des Todes und der Reinheit, sonst eher in der christlichen Bildkunst geläufig. Nein, ein Anwender der einfachen, der gängigen Symbole ist er nicht, der Carl Hauptmann, eher, der eigentümlichen, aus der Natur entnommenen, mitunter scheinbar von der Ästhetik des Jugendstil geprägt, ... mein Eidechschen, so Wendolin zu Serafine. Eidechschen, ein geheimnisvolles Wesen, verletzlich, ... vielleicht aber auch ein kunstvoll gearbeitetes Schmuckstück von Meisterhand, die aus flüssigem Golde ein Tier zur Brosche formte, mit Smaragdäuglein...das Gegenstück zum kirschrot funkelnden Almandin, schöner als der herrlichste blutrote Karfunkel, in der Teufe eingeschlossen in Chlorit und Glimmer , der das Schicksal des unseligen Elis in den Hoffmannschen "Bergwerken von Falun"  besiegelte.... , verwachsen mit dem wunderbaren Gezweige, das aus dem Herzen der Königin im Mittelpunkt der Erde emporkeimt?

Bilder, die die geniale Ilna Ewers-Wunderwald, in ihrer einzigartigen Zeichenfertigkeit, erinnernd zuweilen an die Technik Herkomerscher Emaillemalerei, ganz passend in ihre wunderbare Kunst einfließen lassen könnte; sie, die es vermag, in schwarz-weiß gehaltenen Zeichnungen die Strahlkraft der Farbe erlebbar zu machen. Ja, so denke ich, ist es nicht in einer Weise ganz vergleichbar?  Ilna die mit der Feinheit und eigentümlichen ornamentalen aber delikaten Strichführung Farben entstehen läßt, wo Zeichnung vorherrscht,  und Carl Hauptmann, der mit ebenso teils schmückend gewundener Sprache und feinsinnigen Verzweigungen in Sätzen, Folgen und im Aufbau der Erzählung eine merkwürdige mitunter fast bunt zu nennende Anteilnahme beim Leser erzeugt?

Kein Schreiber, der auf den ausgetretenen Pfaden der literarischen Tradition sich vorhersehbar bewegt, nicht in der Sprache, noch im Thema. Einfach, aber doch ornamental, mit Nachklang. Kein Verfasser, der großer epochenübergreifender Familienromane bedarf, die jedes Jahr wieder sehnlichst erwartet unter dem Weihnachtsbaume liegen. Nein, dem Carl Hauptmann gelingt es, die unaufgelösten Bindungen, die in den besten Familien so manche Beziehung der Jüngeren überschatten, in der kürzesten Erzählung zu schildern, ... Armer Wendolin, arme Serafine... .

 

Schwer, sich für diese Romane und Erzählungen Bilder vorzustellen, gut, Einhart der Lächler, man sagt, mit einiger Berechtigung, daß es hier um das Leben des Otto Müller ginge, ein abstractum über die künstlerische Auffassung gleich inbegriffen. Über die des Otto Müller? Oder über die des Carl Hauptmann selber... ..."von dem Meister muß sich der befreien.....der ein Meister werden will...."

oder gar über uns alle ... nun, solange dieser Anspruch , immer wirklich originell oder  eher gesagt originär zu sein, nicht in einen übermächtigen Druck ausartete, sondern  immer wieder aus sich selbst heraus sich entwickelte.... .

Ich schaute die ehrwürdigen Bäume, die Hügel und die Schluchten, ... der Wald umgab mich ... .war der Carl Hauptmann nicht mit dem Otto Modersohn befreundet ... aber nein, der wäre kein Künstler, dessen Bildbeigaben ich neben den Texten eines Hauptmann gerne sehen möchte, zu schwer, wie ich meine. Auch dünkte es mir, daß vielleicht eine Frau sich in die Schreibkunst des ,.... wie nannten sie ihn, des Zarle, besser einfühlen könnte, Ilna, die erwähnte ich schon, vielleicht Sabine Lepsius oder auch ihre Freundin Mathilde Vollmoeller-Purrmann? Oder die Julie Wolfthorn; auch das von ihr wunderbar gefertigte Abbild von Hedda Eulenberg, das gäbe mir eine Richtung vor, sehr malerisch, harmonische Farbigkeit, schon vom Naturgetönten ins Künstliche, gleichwohl Lebendige ausgreifend - aber auch ganz leicht mit dekorativem Schwung, der die Kunst eher hebt, als ihr Abbruch zu tun - was für ein Vorurteil, das ich hier schon wieder bereitwillig bediene -, die könnte ich mir vorstellen. oder die Baroneß Marie von Berlichingen.  Die Frauen, die sie malte und auch die Landschaft an der Papierfabrik nächst der Seckach - die trafen mir doch die Stimmungen, die mich bei der Lektüre dieses Hauptmanns so übermannten ... oder doch eher überfrauten .... die Frauen, die spielen ja eine ganz eigene, erlösende Rolle im Werke dieses Schreibers aus Schreiberhau. Ohne sie gehts einfach nicht......  .Sie umrahmen die Männer zur Not paarweise und lösen sie immer wieder engelhaft aus ihren persönlichen Nöten und Schuldverstrickungen ... so wünscht Mann es sich es doch, nach einem Leben in der Manier des Rosas oder Lesseps oder Dorian Gray

 

 

Dritte Abtheilung

 

" Herr Leser, ich wette, während du diese Zeilen lasest, glaubtest du, ich hätte Duse und Mounet-Sully gesehen. Tja! Ich gelobe, nie wieder einen Artikel für die Literarischen Blätter zu schreiben, wenn ich diese wunderbaren Virtuosen je gesehen habe ... weder auf der Bühne, ja, noch auf der Strasse ...

So! und nun merke Dir: So werden für Dich im Allgemeinen die Theaterkritiken geschrieben."

 

Sie kennen Ion Luca Caragiale

 

Wenn nicht, so holen sie´s nach. 

Dem Zarle jedenfalls hätte ich gewünscht, ihn gekannt zu haben. Vielleicht hat ers. Dann hätten ihn diese Zeilen bestimmt getröstet.  Ich finde es nicht recht, daß der Tobias Buntschuh von einem Kritiker in höchsten Tönen gelobt wurde - als ein Stück vom Gerhart Hauptmann. Vielleicht hat der Kritiker die Aufführung gar gesehen? Dann ging es dem Carl Hauptmann sogar besser als der Duse und dem Mounet-Sully.

Ich gelobe in Zukunft nur noch Kritiken lesen, die nach der bewährten Rezeptur des Caragiale verfasst sind.

 

Aber Sie kennen Katinka die Fliege

 

Katinka wurde in einem Metzgerladen in einem alten Stück Fleisch, das unter dem Eisschrank lag, geboren. Vater und Mutter kannte sie nicht. Sie lag als Ei mit 119 Geschwistern zusammen, die ebensowenig wie sie über ihre Familienverhältnisse im Klaren waren. Katinka wurde dann, wie sich das gehört, eine Made, ein "Baby", nennt der Dichter sie klangvoller. Sie entwickelte sich zur Puppe und eines Tages brach sie die Hülle starren Fatalismus und flog in die Welt... . Die arme Fliege litt an dem Woher und warum ihres Daseins. "Es ist doch grässlich!", keuchte sie: Da lässt uns irgendwer oder irgendwas in der Welt herumschweben, ohne uns die geringste Aufklärung zu geben. Vielleicht sind alle Dinge ganz anders, wie wir sie sehen, als ein Netz mit kleinen sechseckigen Maschen? Es ist zum Verzweifeln, dass wir uns von allem nur eine Fliegenvorstellung machen können. Für Katinka war das alles seltsam und neu.

Sie machte die Bekanntschaft der zarten Fliege Zanzara, einer kleinen Philosophin, die unter ihrer Unwissenheit litt und ihr klagte, dass es so schade sei, dass die Fliegen so wenig wissen. Sie erzählte Katinka: "Ich habe mich gern auf den Schädeln der Menschen aufgehalten, so gut dies bei solchen nervösen Bestien gehen mag, Aber auf diesen Universitäten lernt man nicht viel. Selbstdenken macht klug."

 

Zwei Schwartenhälse kullerten raufend den Berg hinab, zankend.... Jähzornige Kumpane. Ehrenreich Kluge und Christoph Sommer. Noch immer zum Zeichen ihres tollkühnen, hartherzigen Wagemuts in ihre  verbeulten und verlotterten Uniformen gekleidet. Beides Kürassiers...   Beide jetzt freilich nur auf den hochgeschäfteten und eingeschienten Beinen. Aber noch  bis zum Rande des Fluchens und Laesterns voll. ..... Beide noch gleichsam Kanonenkugeln im letzten Fluge. unheimliche Wirrbärte mit betrunkenen Glotzaugen, jeden Augenblick neu bereit, mit Menschen zu hauen und zu stechen. ... .

 Was soll's. Sie kriegten sich in tollem Jähzorn in die Haare ....begannen ein blutgieriges, sinnloses Sichbearbeiten. Griffen Beerensträucher und Rollsteine vom Hange ... Und es wäre ihrer gehetzten Wut kein Ende gewesen, wenn ihnen nicht Rübezahl einfach jetzt die Füsse unterm Leibe noch vollends weggezogen, sie ebenso rasch ins tollste Rollen gebracht und sie zu hunderten Malen kopfüber purzelnd den Hang in ihrer wütenden Umkrallung unaufhaltsam  hinabgerissen.....Die beiden Kürassiers sollen von ihrem Sturze, dir Agentendorfer Schneegrube nieder, völlig zur Besinnung erwacht sein. Wie sie die Augen endlich neu aufgerissen, scheuten sie einander sogleich, in friedliche Zustände heimzukehren. Nach dem grossen Kriege waren männliche Hilfskräfte auf allen Gebieten sehr rar. So entschlossen sie sich ein jeder, in einem kleinen Geburtsflecken Schulmeister zu werden, um der Welt auch noch etwas von ihrer Weisheit zukommen zu lassen.

 

Soviel aus den Federn von Herbert Eulenberg und Carl Hauptmann zum Stand des menschengemachten Bemühens um Bildung. 

Ich lese hier Wilhelm Boelsche. Kennen Sie seine Kritik der hiesigen Schulstuben im unsterblichen "Stirb und werde"? 

Ich lese in der Episode mit den Kürassieren aber auch das Präludium zu "Krieg - ein Tedeum". Kennen Sie die Kritik von Bertolt Brecht aus einer Schülerzeitung? Bemerkenswert das Thema - und bemerkenswert der schreibende Schüler.

 

Oder sollte ganz andersherum der Schuh des Böhme daraus werden?

 

Lesen oder richtiger gewendet, hören wir den Zarle selbst - betonte er nicht im Leben mit Freunden anhand von Turgenews Radilow die Impressionen  des Begreifens der Wirklichkeit durch den Anblick eines Insektleins - die Tatsächlichkeit des Todes, gefuehlt durch die tastenden Trittchen einer  Fliege auf dem Augenlid der Verblichenen?

Zanzara, die praktische Philosophin auf den wenig gefüllten Auditorien der erkenntnisbeflissenen Menschheit?

 

Wollen wir hoffen, daß die treue Dozentin Katinka nicht dem hartherzigen Grafen von der Bolzenburg in seiner ihm vom Berggeist verpaßten Gestalt als Fliege begegnen möge - Obgleich: Der alte Edelmann, ein derer von Bauchwitz oder Strauchwitz hatte sich ja diese Gestalt nur im Punkt C 

seiner Großhirnrinde eingebrannt. So sahen es zumindest der Leibarzt und die bucklige Verwandtschaft. 

Schwant mir da eine Andeutung an die Philosophien des Professors Avenarius, des geschätzten Lehrers von Franz Blei und eben auch dem "Zarle"... persönliche erlebte Erfahrung im Neuronalen verankert ersetzt jede graue Theorie? Dann wären die impressiven, eigentümlichen Naturbeschreibungen im Rübezahl, die seine Affektionen umrahmen, die seltsamen Bilder, das "braunkarierte Schlänglein" gar der Versuch, eine unverwechselbare Bildsprache an die Stelle des für uns gewohnten Erzählstil des Musäus zu setzen? 

Ein rechtes Desiderat für die noch im Aufkeimen begriffenen Neuronalen Wissenschaften, denen sich auch der Biologe Carl Hauptmann widmete.

 

Ich dagegen, ich erzähle immerzu das Gleiche, von meiner Lunge, von meinen Tanten und davon, wie ich zum Plagiator wurde - meine Tanten, die sind beileibe nicht so originell, wie die Gestalten der Rheinlandschaft, die der Carl Einstein beschrieb, wie etwa den Professor der Physik, der wegen seiner Religiosität die geheimnisvolle Welt der Schwerkraft in Zweifel zog - ebenso, wie der Naturwissenschaftler Carl Hauptmann eine Transzendenz hinter den naturwissenschaftlichen Themen zu spüren vermochte und diese in seinen Werken über die Sprache und die Philosophie zu bereichern suchte. 

 

Diese Bücher sind für feinsinnige Menschen geschrieben für hellhörige die die heimlichen Kräfte, die uns umgeben, zu ahnen vermögen. Für Mutige, die das Hordenleitseil der Konvention fahren liessen und die sich die Wunder der Natur und der Sprache weder im Riesengebirge noch am Rhein noch am Arno oder Tiber veroberlehrern lassen wollen. ... Carl Hauptmann, der "abtrünnige Zarle", abtrünnig der Bahnen die die verstandesmäßig selektierende Wissenschaft vorgibt, abtrünnig auch der Art von Romanen, die der Herbert Eulenberg die dummen, dicken richtigen Romane nennt, abtrünnig auch der Moden der großen eiligen Städte...

 

Werfen Sie den mitleidigen, den fühlenden, den verstehenden, versöhnlichen Blick auf die inneren Verhängnisse der Lesseps und Rosas dieser Welt, auf  des Kaisers Liebkosende Marguerite Bellanger und den Ritter Blaubart - auf die, die wir schon  in den Märchenbüchern unserer Kindheit leidenschaftlich gehaßt haben oder die ihren gesicherten Platz in der öffentlich abgesicherten Geringschätzung längst eingenommen - mit den Augen und durch die Federn der Hauptmanns und Eulenbergs dieser Welt.

 

Postscriptum:

An dem Fritz Erler, an ihm werde ich mich rächen; nicht für die Fahrkarte natürlich, eher für die Bilder; wie sagte der Zarle so schön," dass ich 'Krieg dem KriegeWereschtschagins für eine herrliche Losung halte".

Es wird eine ganz große Sache. Ich werde ihm ein Mahnmal vor die Türe setzen. Ein Monument aus den vertrockneten Brötchen des Bäcker Baucke.Vor seinem Atelierzugang werden sie sich stapeln gleich dem gemalten Schädelberge, mit dem der russische Meister mahnend durch die Lande pilgerte.

 

 

Guthmann Akademie 

 

Gutshaus Neukladow

Neukladower Allee 9-12

 

14080 Berlin

 

 

Arkadien liegt an der Havel

 

10. Juni, 14.00

Lyrik von Johannes Guthmann, 

Musik von Gabriel Fauré, Jaques , Ibert, Erik Satie, Eugene Ysaye, Ralph Vaughan Williams, Camille Saint-Sains, Desire-Emile Inghelbrecht

 

Anna Maria Fitzenreither, Harfe

Eva-Christina Schönweiß, Violine

 

Musik und Dichtung im Dialog

www.guthmann-akademie.de

meo@guthmann-akademie.de

030-326 04 551

--------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

 

Ion Luca Caragiale - Humbug und Variationen

Guggolz Verlag, Berlin 2018

 

 

Hier finden Sie mich

barbaragauger@yahoo.com
 

Kontakt

 

barbaragauger@yahoo.com

Druckversion | Sitemap
© Barbara Gauger